"Lesen wollen, Lesen lernen, Lesen können" gibt neben einem fundierten Überblick über fachwissenschaftliche Hintergründe und einem individuellen Einblick in die Thüringer Schul- und Unterrichtspraxis auch einen weit reichenden Ausblick in europäische Dimensionen. Mit Weitblick werden richtungsweisende Impulse gegeben, die effektiv und möglichst langfristig auf das Leseverhalten und die Leseleistungen der Lernenden wirken. Eine Handreichung für ein Set von Lesestrategien – den LeseNavigator – sowie dazugehörige Diagnoseinstrumente ergänzen das praxisorientierte Angebot an Materialien und Ideen für eine individuelle und nachhaltige Leseförderung.
Das Spielen und das Lesen Das war gemein! Mein Vater hielt sich die Zeitung ewig lange vor die Nase, eine Zeitung, die ganz oben verschnörkelte schwarze große Zeichen hatte. Darunter gab es endlose Zeilen, selten von ein paar sehr grauen Bildern unterbrochen. Was steht denn drin? wollte ich ungeduldig wissen. Nichts, was dich interessiert, beschied mein Vater. Du wirst schon noch früh genug lesen lernen.Das war sehr gemein! Genau wie die Antwort meiner Mutter, wenn ich fragte, ob die Babys zum Bauchknopf herauskommen: Das wirst Du später erfahren, wenn Du groß bist. Erwachsene, und besonders Eltern, waren in der Tat gemein. Alles sollte man erst später erfahren, wenn man lesen konnte. Doch würde es mir dann noch etwas nützen? Ich wollte jetzt und gerade jetzt wissen, was in der Zeitung stand und wozu der Bauchknopf überhaupt da war. Die Leserin und der Leser von heute werden befremdet bemerken: Es muss eine finstere Zeit gewesen sein, als man Heranwachsenden umfassende Kenntnisse über Schwangerschafts- und Still-Vorbereitungskurse einfach verweigerte. Es war auch eine Zeit, als man einfach "Leser" sagte, und damit LeserInnen meinte. Unsereins wurde damals auch mit anderen Fragen allein gelassen. Drängelte man: Was gibts’n morgen zu essen? wurde man beschie den: "Neugierde, in Butter gebraten!" War es ein Wunder, dass ich meinem älteren Bruder begeistert als Sparringspartner diente? Der machte am Nachmittag seine Hausaufgaben und brauchte dazu einen, vor dem er prahlen konnte: Wir haben heute das Q gelernt! Eine Kuh? fragte ich und mein Bruder befand, dass ich ein blöder Esel sei. Wer will das auf sich sitzen lassen? Wenn er "Esel" schon längst buchstabieren konnte? Ich lernte nämlich während der brüderlichen Hausaufgaben das Lesen nebenbei. Zu Beginn war es noch so, dass ich genau wusste, auf welcher Seite von "Das hässliche Entlein" welche Sätze standen. Die Bilder waren Merk-Hilfe, doch irgendwann flutschte es. Ich konnte sogar die Zeitung lesen und stellte fest, dass sie sehr langweilig war.In der Schule fügte ich mich später willig ins Kollektiv ein, denn "Kollektiv" war damals wichtig. Ich las stockend, mit dem Zeigefinger unter der Zeile, buchstabierte brav mit. Doch meine Lehrerin ließ sich von dieser Kollektivfreundlichkeit nicht täuschen: Du liest doch schon fließend, befand sie. Fortan musste ich schwierige Texte für alle laut vorlesen. Und als wir später Heimatkunde und Biologie, Physik und sogar ein Fach namens "Staatsbürgerkunde" bekamen, war klar: Ich konnte gut lesen, musste also auch in diesen Fächern gut sein. Was macht der Mensch nicht alles, wenn es verlangt wird? Lediglich in Sport galt meine Lesefähigkeit nichts; da blieb mir der Platz des Ballholers, bestenfalls des letzten linken Verteidigers.Zum Schluss eines jeden Textes sollte eine Zusammenfassung stehen. Hier ist sie: Wer gut lesen kann, hat sicherlich manche Vorteile. Ob er dadurch glücklich wird, steht auf einem anderen Blatt: geschrieben, gedruckt oder in unsichtbarer Tinte. Denn im wahren Leben ist es oft besser, man ist gut in Sport und Spiel. Am besten aber, man versteht sich auf spielerisches Lesen und gelassenes Leben.
Serienbeschreibung Die Reihe "Materialien" wird vom Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur verlegt, sie stellt jedoch keine verbindliche, amtliche Verlautbarung des Ministeriums dar. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich auf Personen beiderlei Geschlechts. Dem Freistaat Thüringen, vertreten durch das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, sind alle Rechte der Veröffentlichung, Verbreitung, Übersetzung und auch die Einspeicherung und Ausgabe in Datenbanken vorbehalten. Die Herstellung von Kopien und Auszügen zur Verwendung an Thüringer Bildungseinrichtungen, insbesondere für Unterrichtszwecke, ist gestattet.Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien dar. Für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autoren die Verantwortung.
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