Geschichtliches zum Informatikunterricht in Thüringen
Das Fach Informatik in Thüringen - Eine erste Bestandsaufnahme
Anlässlich des Symposiums "25 Jahre Schulinformatik" in Melk (Österreich) soll dieser Artikel einen historischen Überblick über die Entwicklung des Unterrichtsfaches Informatik im Bundesland Thüringen geben. Der Freistaat Thüringen liegt im Herzen von Deutschland und als neues Bundesland ist dessen Entwicklungszeitraum kürzer als der des Faches Informatik in Thüringer Schulen. Bereits in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde ab Mitte der 60ziger Jahre die Notwendigkeit einer Ausbildung in Rechentechnik und Informatik im Bildungsbereich erkannt. Diese Ausbildung war zwar u.a. Bestandteil des Lehramtsstudiums für Mathematik oder Polytechnik, jedoch ein Unterrichtsfach Informatik bzw. informatische Inhalte wurden in den allgemeinbildenden Schulen zu diesem Zeitpunkt nicht unterrichtet. Mit der Entwicklung der Mikroelektronik in den 80ziger Jahren nahmen die Bestrebungen zu, Computer und ein entsprechendes Fachwissen in die Bildung zu integrieren. In den zwei Schularten Zehnklassige Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule (POS) und Erweiterte Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule (EOS) wurden fakultative Kurse mit informatischen Inhalten angeboten.[1] Mit dem Experimentallehrplan Informatik in den Spezialschulen mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Richtung für die Klassen 9 und 10 vom April 1986 wurde erstmals das Fach Informatik, wenn auch nur an Spezialschulen (Schulen zur Förderung von begabten Schülerinnen und Schülern auf mathematischem, naturwissenschaftlichem und technischem Gebiet), in der DDR unterrichtet. Folgend ein Auszug aus der Ziel- und Aufgabenbeschreibung: "Die Hauptaufgabe des Unterrichtes im Fach Informatik [.] besteht darin, die Schüler zu befähigen, Verfahren der Informatik und die informationsverarbeitende Technik zum Lösen von Problemen einzusetzen. Das setzt voraus, dass sich die Schüler typische Denk- und Arbeitsweisen der Informatik aneignen [.] . In diesem Zusammenhang kommt der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten im algorithmischen Arbeiten besondere Bedeutung zu." Durch die Überarbeitung der Lehrpläne der Fächer Mathematik, Physik und des polytechnischen Unterrichts der POS sollte algorithmisches Denken und die Nutzung von Fachsprache und Fachsymbolik gefördert werden. Das Fach Informatik wurde erstmals ab dem Schuljahr 1989/1990 in die Stundentafel der EOS aufgenommen. Ab dem Jahr 1987 konnten Lehrer ein postgraduales Studium absolvieren, um im Zusammenhang mit ihrem Studium als Diplomlehrer (in den meisten Fällen Diplomlehrer für Mathematik und eine Naturwissenschaft oder für Polytechnik) die Lehrbefähigung für den Informatikunterricht für die Klassen 9 bis 10 der POS, 11 und 12 der EOS sowie der Berufsausbildung mit Abitur auf der Grundlage der geltenden Lehrpläne in der Volksbildung der DDR zu erwerben.
Mit der politischen Wende 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 veränderte sich die Bildungslandschaft auf dem Territorium der ehemaligen DDR. Im Zusammenhang mit der Integration der neuen ostdeutschen Bundesländer wurden die westdeutschen Strukturen mit einigen Abweichungen übernommen. In Thüringen können die Schüler der Grundschule nach der vierten Klasse zwischen den Bildungsgängen Regelschule (bis Klassenstufe 10 mit Haupt- und Realschulabschluss) und Gymnasium (Abitur nach der Klassenstufe 12 wurde wie vor der Wende beibehalten) wählen. Das Fach Informatik wurde ab dem Schuljahr 1991/92 am Gymnasium nach den Vorläufigen Lehrplanhinweisen in den Klassenstufen 11 und 12 als Grundfach mit drei Wochenstunden unterrichtet, jedoch nicht flächendeckend. Um diesen Unterricht abzudecken, wurden mehrere Durchgänge einer berufsbegleitenden Weiterbildung zum Erwerb einer Unterrichtserlaubnis Informatik angeboten. Bis heute konnten etwa 200 Lehrerinnen und Lehrer erfolgreich qualifiziert werden. Die 2. Phase der Lehrplanerstellung erfolgte 1993 und das Grundfach Informatik wurde in der Abiturprüfung als schriftliches und mündliches Prüfungsfach anerkannt. Nach einem erfolgreichen Schulversuch an den Gymnasien mit mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Spezialklassen in Erfurt und Jena konnte mit dem neuen Lehrplan [2] , der 1999 in Kraft trat, Informatik auch als Leistungsfach in den Klassenstufen 11 und 12 mit sechs Wochenstunden angeboten werden. Folgend ein Auszug aus der Zielbeschreibung und ein Themenüberblick:
"Ziel des Informatik-Unterrichts ist die Entwicklung von Sach-, Methoden-, Sozial und Selbstkompetenz im Umgang mit Informations- und Kommunikationssystemen. Von großer Bedeutung ist die Befähigung zum sinn- und verantwortungsvollen Umgang mit Information und Informatiksystemen als Kulturtechniken. Die Schüler erkennen die Vorteile und Chancen, aber auch die Risiken und Gefahren bei der Nutzung von Informatiksystemen. Sie können die Möglichkeiten und Grenzen moderner informationsverarbeitender Technik und deren weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft beurteilen und werden damit befähigt, sich auch im Rahmen künftiger Entwicklungen zu orientieren."
"Die in Klammern angegebenen Stundenzahlen dienen der Orientierung. Sie sind
nicht verbindlich.
Themenbereiche im Grundfach Informatik Klassenstufe 11:
1 Einführung in die Informatik und Projektarbeit I (10)
2 Kommunikation in Netzen (18)
3 Bearbeiten von Problemen mit PASCAL oder OBERON (32)
4 Iteration und Rekursion (14)
5 Sortieren und Suchen (10)
Themenbereiche im Grundfach Informatik Klassenstufe 12:
6 Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Informatiksystemen (10)
7 Wahl-Themenbereiche:
7.1 Einblick in die Technische Informatik (25)
7.2 Einblick in das logik-orientierte Programmieren (25)
7.3 Einblick in formale Sprachen (25)
8 Anwendung von abstrakten Datentypen (15)
9 Projektarbeit II und Prüfungsvorbereitung (25)
Von den Wahl-Themenbereichen 7.1, 7.2 und 7.3 ist ein Themenbereich auszuwählen."
Um das Leistungsfach an einer Reihe Thüringer Gymnasien anbieten zu können, qualifizierten sich einige Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich über ein externes Studium, welches zum Lehramt Informatik führte. Durch die Reform der gymnasialen Oberstufe im Jahr 2009 wurde aus dem Grundfach ein Fach mit grundlegenden Anforderungen mit zwei, nach Festlegung der Schulkonferenz aber auch drei Wochenstunden und aus dem Leistungsfach ein Fach mit erhöhten Anforderungen, jedoch nur noch mit vier Wochenstunden[3][4]. Bis zur Erstellung eines neuen Lehrplanes wurden die Zielformulierungen und Inhalte mit den ab dem Schuljahr 2009/2010 gültigen Zielen und inhaltlichen Orientierungen für die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe im Fach Informatik[5] präzisiert[6].
In der Sekundarstufe I trat ab dem Schuljahr 2002/2003 der für Regelschulen und Gymnasien verbindliche Lehrplan für ein unterrichtliches Wahlangebot des Faches Informatik ab der 8. Klasse u.a. mit folgender Zielstellung in Kraft:
"Von allen Schülerinnen und Schülern wird inzwischen erwartet, dass sie mit Medien, einschließlich Computer und Internet, selbstbewusst umgehen können und diese auch zum eigenen Wissenserwerb nutzen.
Nicht jede Schülerin und nicht jeder Schüler muss jedoch über Spezialkenntnisse zu Hardware und Software neuer Medien verfügen. Wohl aber gibt es Schülerinnen und Schüler an unseren Schulen, welche sich über die medienkundliche Bildung bis Klassenstufe 7 hinaus weiter für Computer und Internet interessieren."[7]
Themenüberblick:
"Die in der folgenden Übersicht in Klammern angegebenen Stundenzahlen dienen der Orientierung. Sie sind nicht verbindlich. In der Klassenstufe 8 sind eine Änderung der vorliegenden Reihenfolge der Themenbereiche und die integrative Behandlung verschiedener Themenbereiche möglich.
Themenbereiche in der Klassenstufe 8:
- Präsentieren von Information (10)
- Arbeiten in Netzen (10)
- Verschlüsseln von Information (8)
Themenbereich in der Klassenstufe 9:
- Datenmodellierung und Datenbanksysteme (28)
Themenbereich in der Klassenstufe 10:
- Modellierung und Problemlösen (28 bzw. 56)
Die praktische Arbeit am Computer ist wichtiger Bestandteil des Unterrichts. Für jeweils ein oder höchstens zwei Schüler wird ein Computerarbeitsplatz bereitgestellt."[8]
Schüler, die Informatik als Fach mit erhöhten Anforderungen besuchen wollen, müssen das unterrichtliche Wahlangebot des Faches Informatik absolviert haben[9]. Dieser Lehrplan wird derzeit überarbeitet, da ab dem Schuljahr 2011/12 das unterrichtliche Wahlangebot des Faches Informatik an der Regelschule von Klassenstufe 7 bis 10 und am Gymnasium in den Klassenstufen 9 und 10 angeboten werden kann. Um für dieses unterrichtliche Wahlangebot Lehrerinnen und Lehrer zu qualifizieren, wird ab diesem Schuljahr eine Weiterbildung zum Erwerb der Unterrichtserlaubnis Informatik angeboten.
Eine kontinuierliche Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer wurde über das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) in Bad Berka, dem Landesfachberater und der Thüringer Landesfachkommission Informatik organisiert. Es fanden mehrtägige Tagungen u.a. zu den Themen "Informatik an Thüringer Gymnasien"(1994), "Kommunikation in Netzen"(1997), "Oberon - Das neue Pascal"(2002) und "Informatikunterricht der Zukunft"(2006) statt.
Zur Medienkompetenzentwicklung in Grundschule und Sekundarstufe I
Ab dem Schuljahr 1993/1994 wurde nur für die Klassenstufe 7 an Regelschulen und Gymnasien eine integrative Informationstechnische Grundausbildung (ITG) in einem 28 Unterrichtsstunden umfassenden Kurs auf Grundlage des Vorläufigen Lehrplans des Kurses ITG Klasse 7 und der Leitfächer unterrichtet. Dem ITG-Konzept folgte ab dem Schuljahr 2002/2003 ein integratives Medienkundekonzept für die Klassenstufen 5 bis 7 mit einer Handreichung[10] für die Lehrerinnen und Lehrer. Zum Schuljahr 2009/2010 trat der Kursplan Medienkunde[11] in Kraft. Der integrativ und seit diesem Schuljahr verbindlich zu unterrichtende Kurs Medienkunde wurde auf die Klassenstufen 8 bis 10 erweitert. Der Kursplan verknüpft medienkundliche und informatische Inhalte, deren Grundlage u.a. die Bildungsstandards Informatik in der Sekundarstufe I und das Kompetenzorientierte Konzept für die schulische Medienbildung der Länderkonferenz Medienbildung vom 1.12.2008 bilden. Seit dem Schuljahr 2009/2010 wird eine Fortbildung zur Implementation des Kurses Medienkunde flächendeckend in Thüringen angeboten.
Der Kurs Medienkunde in der Sekundarstufe I wird ab diesem Schuljahr bereits in der Grundschule vorbereitet. In den neuen Fachlehrplänen[12] werden Medienkompetenzen fachspezifisch ausgewiesen.
Dirk Drews
1 vgl. Studienarbeit Tom Schnabel/Lars Leppin: http://waste.informatik.hu-berlin.de/Diplom/robotron/studienarbeit/files/bildung/bildung.html 14.08.2010
2 Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): http://www.thillm.de/thillm/pdf/lehrplan/gy/gy_lp_if.pdf 14.08.2010
3 vgl. Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): http://www.thueringen.de/de/tmbwk/bildung/schulwesen/schulordnungen/schulordnung/ 14.08.2010
4 vgl. Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): http://www.thueringen.de/de/tmbwk/bildung/schulwesen/vorschriften/vv_oberstufe/content.html 14.08.2010
5 Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): http://www.thillm.de/thillm/pdf/lehrplan/gy/kl11-12/gyos_lp_if.pdf 14.08.2010
6 siehe auch Artikel "Informatische Bildung in Thüringen" LOG IN Heft Nr.159 (2009) von Wolfgang Moldenhauer und Otto Thiele
7 Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): http://www.thillm.de/thillm/pdf/lehrplan/rs_gy_wahl_if.pdf 14.08.2010
8 ebd.
9 vgl. Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): http://www.thueringen.de/de/tmbwk/bildung/schulwesen/vorschriften/vv_oberstufe/content.html 14.08.2010
10 Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): /c/document_library/get_file?folderId=20024&name=DLFE-68.pdf 14.08.2010
11 Thüringer Kultusministerium (Hrsg.): http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmbwk/bildung/information/medienkunde_dez09_endfassung.pdf 14.08.2010
12 Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hrsg.): http://www.thillm.de/thillm/service/lehrplan/lp_abs_gs_2010.html 14.08.2010