Ziele und Aufgaben des Unterrichts
Thüringen verzeichnet eine wachsende Anzahl von Kindern und Jugendlichen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Alle Schulen stehen dabei vor der Aufgabe, auch den Schülern mit Migrationshintergrund umfassende Teilhabe an Bildung und Chancen für den größtmöglichen Bildungserfolg zu eröffnen.
Die Gruppe der Lerner nichtdeutscher Herkunftssprache zeichnet sich durch ein hohes Maß an Heterogenität aus. Zu ihr gehören unter anderem Kinder, die erst im Alter von sechs Jahren oder später nach Deutschland gekommen sind, ebenso aber auch in Deutschland geborene Kinder mit zwei oder einem im Ausland geborenen Elternteil. Unterschiede gibt es bei den Lernern nicht nur in Bezug auf den Stand der Sprachkompetenz. Die kulturellen Hintergründe, das Bildungsmilieu, der ökonomische Status, die Wertvorstellungen der Familien, die gesellschaftliche und sprachliche Integration der Eltern und der Aufenthaltsstatus stellen wesentliche Einflussfaktoren dar. Auch die schulische Lernerfahrung im Herkunftsland, der Grad der Alphabetisierung und der Stand der Entwicklung in der Erstsprache, die eventuelle Andersartigkeit des Schriftsystems und das Maß an Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit der Erstsprache spielen eine wichtige Rolle.
Deutsch als Zweitsprache (DaZ) bezieht sich auf den Erwerb, Gebrauch und die Vermittlung der deutschen Sprache in deutschsprachiger Umgebung. Der DaZ-Unterricht befähigt die Kinder und Jugendlichen zu sprachlicher Handlungsfähigkeit und damit zu sach- und situationsangemessener, adressatenorientierter mündlicher und schriftlicher Kommunikation.
Prinzipien und Merkmale des DaZ-Unterrichts
Gesteuerter und ungesteuerter Spracherwerb:
Der Unterricht berücksichtigt das Zusammenwirken des Sprachenlernens im Unterricht und des außerunterrichtlichen Spracherwerbs. Die Schüler erwerben die deutsche Sprache in einer Weise, die nur z. T. vom Unterricht abhängt. Sie erlernen die Zweitsprache Deutsch im sogenannten „Sprachbad", also beim Spielen, beim Sport usw. Je nach Persönlichkeit und Intensität der sprachlichen Kontakte gehen die Schüler in ihrem jeweils eigenen Tempo außerunterrichtlich ihre individuellen Lernwege. Die so erworbenen Sprachkenntnisse sind ausreichend für Alltagssituationen, nicht aber für die schulischen Anforderungen. Die Lehrkraft ist dafür zuständig, die Synchronisation von gesteuertem und ungesteuertem Spracherwerb zu organisieren.
Analyse des Standes der sprachlichen Entwicklung:
In einem kompetenzorientierten individualisierten Unterricht sind Verfahren und Methoden zur Diagnostik der Lernausgangslage notwendig. Daran schließt sich die Erarbeitung individueller Lern- und Förderpläne an. Nur auf Basis der Ergebnisse von Lernstandsanalysen kann der Lerner entsprechend gefördert werden und auch dem Lerner selbst kann nur so der Lernfortschritt und Leistungszuwachs deutlich werden und damit seine Motivation wachsen.
Orientierung an Sprachverwendungssituationen:
Kinder lernen die Erstsprache u.a. von den Eltern in konkreten sinnstiftenden Handlungssituationen. Auch im Unterricht erweitert sich die Sprachkompetenz nicht in erster Linie durch formalen Sprachunterricht, sondern durch Sprachverwendung in Situationen, in denen Kinder etwas verstehen und mitteilen wollen. Lernsituationen müssen vom Lerner als subjektiv bedeutsam erfahren werden, die Inhalte und Themen werden deshalb danach ausgewählt, ob sie einen Bezug zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen haben. So richtet sich auch die Einführung und Einübung grammatischer Strukturen sowohl nach ihrem jeweiligen kommunikativen Stellenwert als auch nach ihrem Nutzen für den Aufbau der Sprachkompetenz.
Umgang mit Fehlern:
Die Lehrkräfte akzeptieren, dass sich die deutsche Sprache der Schüler in der Entwicklung befindet, die Annäherung an die Zielsprache Deutsch erfolgt über Zwischenstufen, die den momentanen Stand des Lerners darstellen und auf dem die nächsten Unterrichtsschritte aufzubauen sind. Fehler werden als Lernanstoß gesehen, die Korrektur erfolgt förderorientiert.
Mehrsprachigkeit als Bereicherung:
Der Unterricht berücksichtigt den Sprachgebrauch von Schülern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch und führt zu einem bewussten Umgang mit Sprachenvielfalt. Mehrsprachigkeit wird als Chance und Potenzial aufgegriffen und anerkannt. Durch das Vergleichen von Wörtern, Wendungen und Strukturen aus der Muttersprache der Lerner mit dem Deutschen wird die Aufmerksamkeit für Sprache erhöht. Dies wirkt sich positiv auf das sprachliche Lernen aus.
Heterogenitätdifferenzierung:
Spracherwerb ist ein individueller Prozess, der Unterricht setzt an den individuellen Sprachvoraussetzungen an. Der DaZ-Untericht berücksichtigt Unterschiede in der sprachlichen Entwicklung, in Lerntempo und Lernstil, im Leistungsvermögen und beim Unterstützungsbedarf. Mit Hilfe von differenzierten Aufgabenstellungen wird es möglich, Lernende mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen an denselben Inhalten arbeiten zu lassen.
Methodische Vielfalt und unterschiedliche Sozialformen:
Für die notwendige Individualisierung und das binnendifferenzierte Arbeiten werden Aufgabenformen eingesetzt, die das eigenständige Lernen fördern. Dazu gehören u.a. verschiedene Formen von Freiarbeit, Arbeit mit dem Portfolio oder Lernen an Stationen. Individualisiertes Lernen wird sowohl in Einzelarbeit als auch in kooperativen Arbeitsformen realisiert. Partner- und Gruppenarbeit sind für den DaZ-Unterricht unerlässliche Aktionsformen, um sprachliche Interaktion zwischen den Schülern zu ermöglichen.
Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen:
Um erfolgreich lernen zu können, müssen von den Schülern auch bildungssprachliche Kompetenzen erworben werden. Lehren und Lernen findet im Medium der Sprache statt, bildungssprachliche Kompetenzen werden aber in der von Alltagssprache dominierten Lebenswelt der Schüler nicht erworben. Bildungssprache unterscheidet sich von der Alltagssprache durch einen stärkeren Bezug zur geschriebenen Sprache. Sie ist gekennzeichnet durch komplexere Strukturen, ein höheres Maß an Informationsdichte und einen differenzierteren Wortschatz, der auch fachsprachliches Vokabular einbezieht. Schüler erlernen Begriffe, Wortbildungen und syntaktische Strukturen, die zur Bildungssprache gehören. Differenzen zwischen Bildungs- und Alltagssprachgebrauch werden immer wieder thematisiert.
Erwerb überfachlicher Kompetenzen:
Ziel des Zweitspracherwerbs ist es, die Lernenden sowohl zur Teilnahme am schulischen Leben als auch zur Teilnahme am sozialen Leben zu befähigen. Es werden daher Kompetenzen vermittelt, die sich an Erfahrungsbereichen aus dem Alltag der Kinder und Jugendlichen orientieren und ihnen eine aktive sprachlicheTeilnahme in ihrer unmittelbaren Lebenswelt und am Schulleben ermöglichen. DaZ- Unterricht dient neben dem Erwerb der notwendigen Sprachkompetenzen immer auch der Förderung der Fähigkeit zu Eigenverantwortung, Identitätsfindung, reflektierendem Lernen und lebenslangem Lernen.
Interkulturelles Lernen:
Der Unterricht folgt dem Prinzip der Kulturalität, jeglicher Spracherwerb ist mit interkulturellem Lernen verknüpft. In einem Unterricht, der die interkulturelle Handlungsfähigkeit der Schüler fördert, werden die Lebenssituation und die Erlebnisse und Erfahrungen mit kultureller und sprachlicher Differenz thematisiert. Persönliche Erfahrungen erhalten breiten Raum, der Unterricht regt zu Vergleichen an, vermittelt Kenntnisse im Bereich Landeskunde und greift die Vielfalt in der Klasse, an der Schule und im sozialen Umfeld bewusst auf. Gemeinsame, ähnliche und unterschiedliche Werte, Normen und Sichtweisen werden wahrgenommen und Unterschiede respektiert. Der Unterricht befähigt die Kinder und Jugendlichen dazu, verschiedene Handlungsmöglichkeiten zu reflektieren, Verständigungsprozesse mitzugestalten und in interkulturellen Situationen angemessen zu interagieren.
Sprachsensibler Fachunterricht
Erfolgreiches Lernen im Fachunterricht setzt voraus, dass die Schüler über das notwendige Repertoire an fachsprachlichen Mitteln verfügen. Hierzu gehören sowohl der Fachwortschatz, einschließlich der fachtypischen Kollokationen, als auch die für das jeweilige Fach typischen Textsorten.
Sprachliches Lernen und Sprachförderung dürfen sich für die Lerner nicht auf den DaZ-Unterricht beschränken. Sprachenlernen muss auch im Fachunterricht stattfinden. Ziel ist ein sprachbewusster Unterricht in allen Fächern.
Richtlinien und Vorgaben für den DaZ-Unterricht an Thüringer Schulen
Der DaZ-Unterricht für die Primarstufe erfolgt auf der Basis des Lehrplans Deutsch als Zweitsprache für die Primarstufe.
(LINK)
Der DaZ-Unterricht für die Sekundarstufe I erfolgt auf der Basis des Lehrplans Deutsch als Zweitsprache für die Sekundarstufe I (Link)
Weitere Grundlagen:
Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen (Link)
Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule (Beschluss der KMK vom 25.10.1996 in der Fassung vom 05.12.2013) (Link)