Lernort Kino
Film ist - vergleichbar mit Literatur, Musik und Bildender Kunst - eine kulturelle Ausdrucksform unserer Gesellschaft und mehr als das: Als Leitmedium und neue Kunstform des 20. Jahrhunderts haben Kino und Film die Wahrnehmung der Welt geprägt und verändert.
Kinder und Jugendliche sammeln bereits früh Erfahrungen aus dem alltäglichen Umgang mit Film und bewegten Bildern. Entsprechend ihrer persönlichen Entwicklung nehmen sie Filme intuitiv wahr und verstehen sie auf ihre Weise - ohne dabei Fragen nach ihrer Geschichte und den Modi ihrer Inszenierung zu stellen. Das Filmerbe ist ihnen nicht präsent, die Fähigkeit zur Analyse, zum begründeten Qualitätsurteil und zur Kontextualisierung nur ansatzweise vorhanden. Dies altersangemessen zu entwickeln und zu fördern, ist Aufgabe schulischer Filmbildung.
An erster Stelle steht dabei die Erkenntnis, dass der Kinobesuch allein nicht ausreicht, damit junge Menschen Filmkultur vertieft kennen lernen. Es gilt ein Bewusstsein für die Kunstform Film zu wecken und über Ästhetik, Inhalt sowie gesellschaftliche und historische Bezüge zu sprechen. Dafür sollte der Kinobesuch im Unterricht fundiert vor- und nachbereitet werden.
Filmerleben als Ausgangspunkt der Schulkinoarbeit
Kino weckt Lust am Schauen, am Zusammenspiel von Bild und Ton. Die Geschichten berühren emotional und die Charaktere regen zur Identifikation an. Das ästhetische Erlebnis geht jeder analytischen und didaktischen Beschäftigung voraus. Diese Unmittelbarkeit, die alle Kunstgattungen auszeichnet, können Sie in Ihrer pädagogischen Arbeit zum Ausgangspunkt des Lernprozesses machen.
Bringen Sie Ihre persönliche Neigung zum Kino mit ein. Geben Sie zudem den Kinoerlebnissen Ihrer Schülerinnen und Schüler Raum, holen Sie sie dort ab, wo sie mit ihren Kinoerfahrungen stehen, und sprechen beispielsweise über ihre Lieblingsfilme. Sie können dabei auch den atmosphärischen und ästhetischen Unterschied zwischen Filmen, die man im Fernsehen oder auf DVD sieht, und Filmen, die im Kino auf der Leinwand präsentiert werden, thematisieren. Gegebenenfalls können Sie auf Bewegtbilder in anderen Medien wie Computerspielen, Handyanwendungen und dem Internet eingehen und dabei fragen, wie diese Bilder Inszenierungsmethoden des Films folgen.
Organisation des Kinobesuchs
Der selbst organisierte Kinobesuch mit der Schulklasse ermöglicht Ihnen - in Absprache mit dem Kinobetreiber in Ihrer Nähe - eine unterrichtsnähere und passgenauere Auswahl des Films, des Spieltags und der Spielzeit. Ebenso können Sie das Rahmenprogramm frei gestalten. Im Gegensatz zu bereits organisierten Schulkinoprojekten sind jedoch Aufwand und finanzielle Kosten in der Regel höher. Sprechen Sie Film, Version und Kosten im Vorfeld mit dem Kinobetreiber ab. Empfehlenswert ist, sich mit anderen Kolleginnen und Kollegen und deren Klassen zusammen zu tun. Denn je größer die teilnehmende Gruppe ist, desto einfacher ist es für die Kinos, einen ermäßigten Eintrittspreis anzubieten.
Bei organisierten Schulkinoveranstaltungen sind Aufwand und Kosten in der Regel niedriger. Im Bereich des organisierten Schulkinos gibt es mittlerweile eine große Anzahl von Angeboten und Möglichkeiten. Viele Kinos offerieren etwa ganzjährig ein spezielles Kinder- und/oder Jugendfilmprogramm.
Die SchulKinoWochen stellen das größte filmkulturelle Bildungsprojekt in Deutschland dar und werden bundesweit von VISION KINO angeboten. Sie bieten vormittags ein speziell auf den Einsatz im Unterricht und auf die Lehrpläne abgestimmtes Programm für Schulklassen zu einem ermäßigten Eintrittspreis an. Zu jedem der Filme liegt umfangreiches pädagogisches Begleitmaterial mit Arbeitsblättern vor, das von den regionalen Projektbüros verschickt wird. Im Rahmen der SchulKinoWochen finden zahlreiche Sonderveranstaltungen mit Gästen statt, zudem können Lehrkräfte anerkannte Fortbildungen besuchen.
Besonders für den Fremdsprachenunterricht bieten sich Kinder- und Jugendfilmfestivals mit Länderschwerpunkten an, die bundesweit Filme im Original mit Untertiteln zeigen und pädagogisches Begleitmaterial zur Verfügung stellen wie etwa das französisches Jugendfilmfestival Cinéfête oder das British Schools Film Festival BritFilms.
Sehr lohnenswert sind Besuche mit den Schulklassen bei Kinder- und Jugendfilmfestivals. Diese bieten nicht nur spezielle Vorführungen mit pädagogischer Begleitung für Schulklassen an, sondern lassen die Kinder und Jugendlichen auch Festivalatmosphäre schnuppern. Oft können die jungen Zuschauenden direkt mit Filmemachern in Kontakt treten.
Der Kinobesuch
Um den Arbeitscharakter des Kinobesuchs zu unterstreichen, ist es sinnvoll, vor dem Film einzelne Arbeitsaufgaben zu verteilen, etwa das Betrachten des Films unter bestimmten inhaltlichen und ästhetischen Gesichtspunkten. Entsprechende Lernprozesse werden so schon beim Anschauen des Films initiiert. Bitten Sie Ihre Schülerinnen und Schüler zudem, nach dem Film sitzen zu bleiben und unmittelbare Eindrücke zu notieren.
Interessant kann - bei einem engagierten Kinoteam - ein Blick hinter die Kulissen eines Kinobetriebs sein, etwa ein Besuch im Vorführraum oder ein kurzes Gespräch mit dem Filmvorführer oder dem Kinobetreiber. Sprechen Sie mit dem Kinobetreiber ab, ob eine Filmrolle und Filmmaterial "zum Anfassen" präsentiert werden können.
Nach dem Film im Kino
Für eine qualitätsvolle Schulkinoarbeit ist wichtig, dass ihre Schülerinnen und Schüler spontan zunächst erste Eindrücke zum Film äußern können - auch, um Spannungen abzubauen. Fragen Sie offen nach subjektiven Erlebnissen und Gefühlen. Analytische Fragen können später oder im Unterricht behandelt werden. Für diese erste Annäherung an den Film können auch gestalterische Methoden wie das Nachzeichnen von für die Schülerinnen und Schüler wichtigen Szenen dienen.
Bei Kindern und Jugendlichen erreichen Filmschaffende eine hohe und motivierende Aufmerksamkeit. Diese können von ihrer Arbeit als Regisseur oder Produzent, an der Kamera, am Schnitt, am Kostüm, am Szenenbild, am Drehbuch etc. berichten und einen direkten Werkstatteinblick geben. Sind also Filmemacher anwesend, empfiehlt sich ein anschließendes Filmgespräch. Einen Referenten, einen Filmpädagogen hinzuzuziehen, stellt ebenfalls eine sinnvolle Maßnahme für die fundierte Schulkinoarbeit dar. Sie können zu ausgewählten Themen referieren und Gesprächsrunden moderieren.
Nachbereitung des Kinobesuchs im Unterricht
Ein Film lässt im Unterricht sowohl unter inhaltlichen Gesichtpunkten erschließen als auch durch eine Thematisierung seiner Dramaturgie, Ästhetik und gestalterischen Elemente analysieren. Erarbeiten Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern den Unterschied dieser beiden Aspekte bereits vor dem Kinobesuch, verdeutlichen Sie aber auch, dass zwischen Form und Inhalt ein Bezug besteht. Führen Sie gemeinsam mit Ihren Schülern und Schülerinnen daher in der an den Kinobesuch anschließenden Diskussion diese beiden Aspekte wieder zusammen: Die Filmästhetik hat immer eine Bedeutung für den Inhalt des Films - wie auch umgekehrt der Inhalt die Wahl der filmsprachlichen Mittel beeinflusst. Warum eine bestimmte Ausstattung, eine bestimmte Kameraperspektive oder -bewegung, Musik, Ton und Lichtgestaltung gewählt wurden, hat Einfluss auf den Inhalt des Films, unterstreicht oder konterkariert diesen, legt eine bestimmte Lesart nahe, soll eine bestimmte Wirkung beim Zuschauenden hervorrufen etc.
Möchten Sie zur Nachbereitung des Films einen sprachlich-analytischen Zugang wählen, ist die Filmanalyse das entsprechende Mittel. Sie lässt sich grob nach vier Leitfragen gliedern:
Was?
Inhaltsanalyse: Handlung, Situationen, Probleme, Personen, Konflikte, Emotionen
Wer?
Strukturanalyse: Figurenkonstellation, Erzählperspektive, Dramaturgie, Plot, Wendepunkte, Höhepunkte
Wozu?
Aussagen- und Wirkungsanalyse: Moral, Aussage, Ideologie
Wie?
Filmsprachliche Analyse: Gestaltung, Ästhetik, Bauformen des Erzählens
Anknüpfend an bisherigen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler mit Textlektüren lassen sich dramaturgische Aspekte eines Films leichter erarbeiten. Sie können daher zu Beginn einer Filmanalyse eine Handlungskurve erstellen, welche die Dramaturgie grob festhält: die Exposition, die Wendepunkte, den Höhepunkt sowie den Schluss des Films. Eine erste Betrachtung der Konflikte und der Figurenkonstellation ist möglich. Listen Sie mit Ihren Schülern und Schülerinnen wichtige Bildmotive auf.
Für die filmsprachliche Analyse eignet sich die ausführliche Betrachtung einzelner Sequenzen oder Einstellungen. Dazu empfiehlt sich der Einsatz von DVD oder VHS-Kassetten, um die Szenen wieder deutlich vor Augen zu haben und genau analysieren zu können. Zur besseren Orientierung können Sie mit den Schülerinnen und Schülern ein Sequenzprotokoll exemplarischer Ausschnitte erstellen oder auf ein vorhandenes - etwa aus den Filmheften der Bundeszentrale für politische Bildung - zurückgreifen. Ein Sequenzprotokoll beinhaltet eine Aufteilung des Films in verschiedene inhaltliche Abschnitte (Sequenzen), einzelne Einstellungen sind darin zusammengefasst.
Thematisieren Sie zuerst die Gestaltungsmittel aus dem Kamerabereich (Einstellungsgrößen, Kameraperspektiven und -bewegungen) und deren Wirkungen auf den Zuschauenden. Wiederkehrende Einstellungen lassen sich gegenüberstellen und miteinander vergleichen. Anschließend können Sie je nach Alter und Leistungsstärke der Klasse filmsprachliche Mittel aus dem Ausstattungs-, Licht-, Ton- und Montagebereich folgen lassen. Wichtig ist dabei, die Wechselbeziehung zwischen Form und Inhalt deutlich werden zu lassen. Welche gestalterischen Elemente werden im Film und aus welchen Gründen eingesetzt? Welche Wirkung, welche Bedeutung hat die filmsprachliche Gestaltung für die Konstruktion der filmischen Realität und den Inhalt des Films?
Neben einer rezeptiv-analytischen Herangehensweise bieten sich auch vielfältige spielerische und gestalterische Möglichkeiten an, darunter das Schreiben einer Filmkritik, das Erstellen eines eigenen Filmplakats oder Filmtrailers. Die szenische Qualität des Mediums Film und seine Produktionsabläufe können selbst als Lernsituation genutzt werden. Durch konkretes Handeln lernen die Kinder und Jugendlichen filmische Gestaltungsmittel kennen. Das Übernehmen von Schauspiel-, Regie-, Kamera-, Ausstattung- oder Produzentenrollen führt bei den Schüler/innen zu einem Perspektivenwechsel. Sie treten aus der Rolle des Zuschauenden heraus und sehen Film anders: Wie fühlt sich ein Schauspieler in seine Rolle ein? Warum entscheidet sich der Kameramann für diesen Ausschnitt? Wie baut ein Regisseur die Szene auf? Wie kann ich Ästhetik und Inhalt des Films in einem Plakat ausdrücken?
Bei jüngeren Kindern empfiehlt es sich, über die einzelnen am Entstehen eines Films beteiligten Berufe Zugang zu filmsprachlichen Elementen zu bekommen. Es interessiert sie, die Arbeit des Regisseurs, des Kameramanns, des Drehbuchautors, des Szenenbildners, des Cutters etc. kennen zu lernen.
Autorin: Maren Wurster
Projektleitung VISION KINO - Netzwerk für Film- und Medienkompetenz
www.visionkino.de