Alltag im 20. Jahrhundert. Zeitzeugen aus Thüringen erzählen.
Kurzinhalt:
Im Fokus der ausgewählten Zeitzeugenerzählungen stehen der Übergang vom Ende der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus und die schrittweise Ausgrenzung der jüdischen Bürger in Jena und Weimar. Hildegard C. berichtet, wie sie und ihre Mutter eine Wahlversammlung der NSDAP besuchten, auf der Adolf Hitler gesprochen hatte. Sie waren entsetzt, wie er schrie und beschlossen nach diesem Erlebnis, ihn nicht zu wählen. Ilse-Sibylle S. erzählt, sie und ihre Mutter seien regelrecht in den Nationalsozialismus hineingeschliddert, und hätten geglaubt, Arbeit und Armut würden nun beseitigt. Gerhard K. beschreibt, wie nach 1933 die Lehre strenger und militärischer wurde und wie aus der Ernst-Abbe-Jugend die Gefolgschaft „Ernst Abbe“ der Hitler-Jugend geworden ist. Friederlene D. erzählt, wie sie, weil ihre Großmutter mütterlicherseits Jüdin war, in den 1930-er Jahren zeitweise als Aupair-Mädchen in England arbeitete...
Produzent Verein für Kunst, Kultur und Kommunikation (KuKuK, e.V.) Jena, vertreten durch Torsten Cott und Dietmar Ebert in Kooperation mit dem Offenen Hörfunkkanal Jena e.V.
Für die Bereitstellung eines Fotos aus der Sammlung von Glasplattennegativen danken wir Frau Dr. Ute Leonhardt vom Unternehmensarchiv Schott, für weitere Fotos Herrn Dr. Jens Riederer vom Stadtarchiv Weimar, für Auskünfte und Informationen danken wir Frau Constanze Mann vom Stadtarchiv Jena, Herrn Dr. Harry Stein, dem Kustos für Geschichte der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora und Frau Grit Kurth, Oberarchivrätin beim Thüringer Hauptstaatsarchiv Weimar.
Herausgeber Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien Heinrich- Heine-Allee 2-4 99438 Bad Berka www.thillm.de www.schulportal-thueringen.de
Inhalt Als Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten gilt der 30. Januar 1933, die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg. Nach dem Reichstagsbrand setzte die Verfolgung aller Andersdenkenden ein, KPD und SPD wurden verboten, die Freien Gewerkschaften wurden in der Deutschen Arbeitsfront gleichgeschaltet; die demokratischen Jugendorganisationen wurden verboten und die Jugendlichen im BDM und der HJ organisiert. Die jüdischen Bürger wurden schrittweise aus dem Leben der Gesellschaft ausgegrenzt; ihre Rechte wurden immer mehr beschnitten, ihre beruflichen Möglichkeiten immer weiter eingeschränkt. In der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 mussten sie um ihr Eigentum und um ihr Leben fürchten. Geschäfte wurden zerstört, jüdische Männer wurden ins KZ Buchenwald gebracht, wie der jüdische Ingenieur Max Grossmann. Eine Intervention von Erich Schott zu seinen Gunsten kam zu spät. Max Grossmann war schon nicht mehr am Leben. Darüber, wie die Machtübernahme Hitlers und der Nationalsozialisten den Alltag in Jena und Weimar verändert hat, darüber haben die Zeitzeugen Friedrich D. 1994 und Gerhard K. 1996 sowie die Zeitzeuginnen Hildegard C., Ilse-Sibylle S., Friederlene D. und Maria H. in den Jahren 2000 und 2001 erzählt. Hildegard C. hat erzählt, wie sie mit ihrer Mutter eine Wahlversammlung der NSDAP besucht hat. Ihre Familie war evangelisch geprägt und humanistisch gebildet. Hildegard C. und ihrer Mutter missfiel, wie Hitler auftrat und schrie. Sie beschlossen, Hitler nicht zu wählen. Ilse-Sibylle S. und ihre Mutter glaubten, dass mit der Machtübernahme durch Hitler und die NSDAP die Wirtschaftskrise überwunden und Arbeitslosigkeit und Armut beseitigt werden könnten. Dass es Krieg geben würde, wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen. Gerhard K. hat erzählt, wie die Lehre nach 1933 etwas strenger und militärischer wurde. Eingeprägt hat sich ihm, wie die Ernst-Abbe-Jugend, die Jugendorganisation der Lehrlinge im Zeiss-Werk geschlossen als Gefolgschaft „Ernst Abbe“ in die Hitler-Jugend übernommen worden ist. Innerhalb der Hitler-Jugend wurden Geländespiele durchgeführt, bei denen hart zugeschlagen wurde, in den Sommerlagern wurde unter manöverartigen Bedingungen gelebt. Gerhard K. hat all das als Vorbereitung auf einen kommenden Krieg empfunden. Maria H. entstammt einer traditionsreichen Schauspielerfamilie in Weimar. Ihr Großvater mütterlicherseits, Ferdinand Wiedey, war Opernregisseur und Sänger am Weimarer Theater. Schon als Kind wollte sie zum Theater. Als Gymnasiastin war sie Mitglied im BDM, besuchte aber die BDM-Nachmittage nicht, weil sie ihr als Zeitverschwendung erschienen, und sie lieber im Extrachor des Theaters sang und sich mit Stadtgeschichte beschäftigte. Im „Hasenwäldchen“ wurde sie „entehrt“, d.h. Schlips und Gürtel der BDM-Uniform wurden ihr entrissen. Welchen Schwierigkeiten Menschen jüdischer Herkunft nach 1933 ausgesetzt waren, darüber erzählt Friederlene D.; da ihre Großmutter mütterlicherseits Jüdin war, waren sie und ihr Bruder gezwungen, ein paar Jahre in England zu leben; später hat Friederlene D. in Wiesbaden als Apothekenassistentin gearbeitet und wurde von ihrem Chef, dem Inhaber der Adler-Apotheke geschützt. Friedrich D. berichtet über seinen Chef, den jüdischen Ingenieur Max Grossmann, der bis zu seiner Ermordung im Jahr 1938 im Jenaer Glaswerk Schott & Genossen gearbeitet hat. Ilse-Sibylle S. erzählt, was den jüdischen Menschen in Weimar angetan wurde, u.a., dass in der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 durch SA-Leute die „Puppenklinik“ der jüdischen Besitzerin Meta Hetemann in der Teichgasse 8 verwüstet wurde und sich die Frau des Sanitätsrates Dr. Kreiß, Martha Kreiß, vermutlich das Leben genommen hat, nachdem sie den Befehl zur Deportation erhielt. ...weiter siehe "Didaktische Anmerkungen".
Serienbeschreibung In der Serie "Zeitzeugen" kommen Personen zu Wort, die aus ihrem persönlichen Erleben berichten. Die originalen Schilderungen der Zeitzeugen werden dabei ggf. durch Begleitmaterial ergänzt.
Das Tonmaterial, aus dem die Beispiele entnommen sind, wurde in den Jahren 1993 bis 2001 aufgenommen. Innerhalb des Projektes „Erzählte Geschichte“, das im Verein für Kunst, Kultur und Kommunikation (KuKuK e.V.) angesiedelt war, wurden innerhalb von acht Jahren biographische Interviews mit Pensionären der Zeiss- und Schott-Werke, mit Absolventen der ehemaligen Universitätsschule sowie mit Senioren in Weimar und Erfurt geführt. Der von ihnen erinnerte geschichtliche Zeitraum reicht vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur friedlichen Revolution 1989.
Anmerkungen
Didaktische Anmerkungen Fortsetzung Inhalt: Hanna de P. erzählt über ihre Lehrzeit im Geschäft von Arthur Friedmann. Friedmanns besaßen in der Grietgasse in Jena eine Fellhandlung. Dort hat Hanna de P. ihre dreieinhalbjährige Lehrzeit verbracht. Sie erzählt über ihre guten Erinnerungen daran und an die Familie Friedmann. Während Arthur Friedmann und seine Familie in die USA emigrieren konnte, wurden seine Mutter, seine Schwester und sein Schwager Opfer des Holocaust. Heute erinnert vor dem Haus, in dem die Friedmannsche Fellhandlung war, ein Stolperstein an Klara und Hermann Friedrich. Das Schicksal der Friedmanns hat Frau de P. immer bedrückt, und sie konnte schon als junges Mädchen nicht begreifen, warum Friedmanns anders sein sollten als sie und ihre Familie.
Handhabung Der Zusammenschnitt umfasst die Lebenserinnerungen der Zeitzeugen in folgender Reihenfolge: Hildegard C., Johanna G., Friedrich D., Maria H., Gerhard K., Friederlene D., Ilse-Sibylle S.
Fotos und ihre Quellen: Ilse-Sibylle S., Quelle: Stadtarchiv Weimar Friederlene D., Quelle: Stadtarchiv Weimar Friedrich D., Quelle: Archiv des Schott-Glaswerkes Gerhard K., Quelle: privat Maria H., Quelle: privat Johanna G., Quelle: privat Hildegard C., Quelle: privat